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Strafverfolgungswelle wegen BAföG-Betrugs

Zehntausenden Studenten und Ex-Studenten, die in den vergangenen Jahren Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bezogen und bei der Antragstellung Vermögen verschwiegen haben, droht Ungemach. 1. Datenabgleich

Seit 2002 wird die bundesweite Förderungsdatei über die jeweiligen Länder mit den Dateien des Bundesamtes für Finanzen (BfF) abgeglichen und zwar rückwirkend bis zum Jahr 1999. Das BfF erfasst sämtliche Freistellungsaufträge, die an Banken gestellt werden, und erfasst und speichert zum Ende des Kalenderjahres die Zinserträge. Im Rahmen des Datenabgleichs übermitteln die Studentenwerke die Namen und identifizierbaren Daten der Personen, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beziehen, bezogen haben oder beantragt haben. In Treffer-Fällen unterrichtet das BfF die Studentenwerke.

Bereits Kapitaleinkünfte ab EUR 100,00 wecken das Interesse der BAföG-Ämter. BAföG-Empfänger, die noch keine Aufforderung zur Offenbarung erhalten haben, können nicht aufatmen; das BAföG-Amt München beispielsweise arbeitet sich von den hohen zu den niedrigen Zinseinkünften durch Auch wer für einzelne Konten keinen Freistellungsauftrag erteilt hat, kann sich nicht in Sicherheit wiegen. Zum 01. April 2004 wird eine sog. Kontoevidenzzentrale eingerichtet, derer sich die BAföG-Ämter unter Umständen bedienen werden. Damit könnten alle bestehenden Konten, unabhängig davon, ob ein Freistellungsauftrag eingerichtet wurde, ermittelt werden.

Die Datenschutzbeauftragten der Länder haben erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Datenabgleichs geäußert. Die in den BAföG-Anträgen gemachten Angaben unterliegen als Sozialdaten gem. §§ 11, 18 SGB I dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I. Nach § 67 SGB I dürfen diese nur weitergegeben werden, wenn dafür eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach dem SGB I vorliegt. Inzwischen hat das Bundesbildungsministerium das Gesetz nachgebessert.

2. Strafbarkeit oder bloße Ordnungswidrigkeit

Prof. Dr. Bohnert (FU Berlin) vertritt die Auffassung, Falschangaben im BAföG-Antrag seien nur als Ordnungswidrigkeit gem. § 58 BAföG zu qualifizieren. Eine gerichtliche Entscheidung dieser Frage steht noch aus (vor dem Oberlandesgericht München ist ein Verfahren anhängig), jedoch sprechen gute Gründe gegen Prof. Bohnerts Einschätzung. Beispielhaft sei nur auf den Aufsatz von Ministerialrat König (www.ja-aktuell.de) verwiesen.

Damit verbleibt es wohl bei der Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB.

3. Strafmaß

a. Faktoren der Strafzumessung und die Linie der bayerischen Rechtsprechung

Die Höhe der Strafe und das Vorgehen der Staatsanwaltschaften sind von der Zahl der Einzeltaten, dem entstandenen Schaden, der Schadenswiedergutmachung durch den Täter und Voreintragungen im Bundeszentralregister abhängig.

Wie hart vorgegangen wird, ist auch von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Bayern wird der BAföG-Betrug verhältnismäßig rigoros verfolgt und bestraft. Eine starre Strafmaßtabelle gibt es nicht, da der Strafrichter sein Urteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner eigenen Überzeugung bildet.

Tendenziell und nach informellen Auskünften der Staatsanwaltschaften werden Ermittlungsverfahren mit Schadensbeträgen bis etwa EUR 500,00 – 1.000,00 in der Regel gegen eine Geldauflage eingestellt, wenn der Beschuldigte geständig ist, die zu Unrecht bezogenen Beträge zurückgezahlt hat und nicht oder jedenfalls nicht einschlägig (d.h. wegen eines Vermögensdelikts) vorbestraft ist.

In Verfahren mit Schadensbeträgen bis zu 10.000,00 EUR beantragt die Staatsanwaltschaft meist Strafbefehle über Geldstrafen. Die Anzahl der Tagessätze hängt von den oben genannten Faktoren ab, die Höhe eines Tagessatzes nach dem auf einen Tag entfallenden Nettoeinkommen des Beschuldigten. Erhebt der Beschuldigte binnen zwei Wochen nicht Einspruch gegen den Strafbefehl, so wird dieser rechtskräftig. Eine Hauptverhandlung findet dann nicht statt.

Bei höheren Schadensbeträgen wird die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Es ist dann mit erheblichen Geldstrafen oder auch mit einer Freiheitsstrafe, die in der Regel zur Bewährung ausgesetzt wird, zu rechnen.

Bei den Schadensbeträgen ist vom Zuschussanteil auszugehen, der bei Studenten nur 50 % der tatsächlichen Förderung beträgt.

Bei mehreren BAföG-Anträgen ist jeder Antrag gesondert zu betrachten und stellt eine eigenständige Tat dar. Die Strafzumessung erfolgt für jede Tat gesondert. Anschließend wird eine Gesamtstrafe gebildet, die unter der Summe der Einzelstrafen liegt.

b. Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts

Hatte der Beschuldigte bei der Stellung des BAföG-Antrages das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann unter Umständen Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen. Bei Straftätern zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr wird dies bejaht, wenn Reifeverzögerungen vorliegen oder es sich bei der Tat um eine jugendtypische Verfehlung handelt. Die Gerichte tendieren in Zweifelsfällen dazu, Jugendstrafrecht anzuwenden.

Das Jugendstrafrecht sieht als Sanktionen insbesondere auch die Erteilung von Auflagen in Form von Sozialstunden vor.

c. Beispielhafte Entscheidungen aus Bayern

Amtsgericht Kempten, April 2004: Schaden 6.100,00 EUR und 5.000,00; Strafbefehl 160 Tagessätze (120 Tagessätze und 100 Tagessätze), Urteil des Amtsgerichts 90 Tagessätze; Urteil des Landgerichts auf die Berufung der Staatsanwaltschaft 120 Tagessätze.

Amtsgericht Erlangen, August 2004: Leistung des BAföG-Amtes insgesamt EUR 12.700,00 für zwei Anträge (davon 50 % Darlehen); Urteil des Amtsgerichts 90 Tagessätze (Einzelstrafen jeweils 60 Tagessätze).

Amtsgericht Schwangau, Mai 2004: Schadenssumme EUR 6.300,00 80 Tagessätze.

d. Eintrag in das Bundeszentralregister und Auskünfte aus dem Bundeszentralregister

Nicht selten ist die Hauptsorge Betroffener der Eintrag in das Bundeszentralregister. Dort werden sämtliche rechtskräftigen strafrechtliche Verurteilungen eingetragen.

Nicht eingetragen wird dagegen eine Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine Geldauflage.

Ebenfalls nicht eingetragen werden Verurteilungen nach Jugendstrafrecht mit Ausnahme der Jugendstrafe (entspricht der Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht).

Von der Eintragung im Bundeszentralregister zu unterscheiden ist die Frage, welche Verurteilungen in ein Führungszeugnis aufgenommen werden.

Nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG werden Verurteilungen, durch die auf nicht mehr als 90 Tagessätze erkannt wird, nicht in ein polizeiliches Führungszeugnis aufgenommen. Die 90-Tagessätze-Grenze ist damit für den Betroffenen von besonderer Bedeutung, denn bei einer Verurteilung zu einer höheren Strafe gilt er als vorbestraft.

Das Problem verschärft sich für Betroffene, die nicht nur ein „normales“ Führungszeugnis benötigen, sondern eine unbeschränkte Auskunft nach § 41 BZRG. Dieses wird obersten Bundes und Landesbehörden erteilt, die es an nachgeordneten Behörden weitergeleiten dürfen, wenn dies zur Vermeidung von Nachteilen für den Bund oder das Land erforderlich ist, außerdem den Rechtsanwaltskammern für die Entscheidung im Zulassungsverfahren, § 43 BZRG.

Eintragungen wegen Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen werden in der Regel nach 5 Jahren aus dem Bundeszentralregister getilgt, wenn keine weiteren Eintragungen hinzugekommen sind. Bereits nach 3 Jahren werden diese Verurteilungen nicht mehr in ein polizeiliches Führungszeugnis aufgenommen, § 34 BZRG.

4. weitere Folgen für den Betroffenen

Für den Betroffenen kann eine Verurteilung weitreichende Folgen haben.

Nachdem Inhaber akademischer Grade zu deren Führung würdig sein müssen, sehen die Promotionsordnungen regelmäßig vor, dass der Bewerber ein Führungszeugnis vorzulegen hat.

Angehende Staatsdiener werden in den Einstellungsbögen nach Vorstrafen gefragt, woraufhin Verurteilungen zu mehr als 90 Tagessätzen angegeben werden müssen. Hat die Behörde ein Recht auf unbeschränkte Auskunft nach § 41 BZRG, muss der Bewerber auch Eintragungen im Bundeszentralregister offenbaren, die nicht in ein polizeilichen Führungszeugnis aufgenommen werden (also Verurteilungen zu weniger als 90 Tagessätzen) wenn er danach gefragt wird und hierüber belehrt wird (§ 53 BZRG).

Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat im August 2004 die Bezirksregierungen aufgefordert, von der Einstellung von wegen BAföG-Betruges vorbestraften Bewerbern vorerst Abstand zu nehmen, weil es diesen an der für die Eignung als Lehrkraft erforderliche Eignung i.S.d. § 12 Abs. 2 BayBG fehle.

Ähnlichen Problemen werden sich Juristen ausgesetzt sehen, die sich um eine der begehrten Stellen im Staatsdienst bewerben.

Die Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird davon abhängen, ob sich der Bewerber als unwürdig für die Ausübung des Anwaltsberufes erwiesen hat.

Die Entscheidungen der Behörden und Rechtsanwaltskammern sind Ermessenentscheidungen. Nachdem erst der Datenabgleich die Verfolgung des BAföG-Betruges auf breiter Front ermöglicht hat, existieren zur Frage, wie das Ermessen tatsächlich ausgeübt wird, noch keine Erfahrungswerte.

5. Verjährung

Die Frist für die Verfolgungsverjährung beträgt 5 Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Sie beginnt mit der letzten Zahlung, die aufgrund des BAföG-Antrags erfolgt; damit ist der tatbestandliche Erfolg i.S.d. § 78 a StGB eingetreten.

Bei mehreren Anträgen läuft die Verjährungsfrist für jede Tat gesondert an, sodass unter Umständen die erste(n) Tat(en) nicht mehr verfolgt werden können.

Die Verjährung wird unterbrochen durch die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist oder die Anordnung der Vernehmung oder Bekanntgabe, § 78 c Nr. 1 StGB.

Die (strafrechtliche) Verfolgungsverjährung hat keine Auswirkungen auf die Rückzahlungspflicht. Diese bemisst sich nach den einschlägigen sozialrechtlichen Vorschriften.

6. Tipps für Betroffene

Betroffene werden von den BAföG-Ämtern zunächst aufgefordert , Ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen. Ergibt sich daraus, dass Leistungen unberechtigt bezogen wurden, erlässt das BAföG-Amt einen Rückforderungsbescheid.

Bei der Korrespondenz mit dem BAföG-Amt, persönlichen Gesprächen oder Telefonaten sollte sich der Betroffene stets bewusst sein, dass der Staatsanwaltschaft anschließend zusammen mit der Strafanzeige die vollständige Akte des BAföG-Amtes weitergeleitet wird, und mit jedweden Angaben, die über die Vermögensoffenbarung hinausgehen, äußerst zurückhaltend sein. Keinesfalls sollten Betroffene Stellung zur subjektiven Tatseite nehmen!

Im Rahmen einer Vernehmung als Beschuldigter ist der Betroffene nur verpflichtet, Angaben zur Person zu machen. Wir empfehlen, keine voreiligen Angaben zur Sache zu machen.

Angesichts der für viele Betroffene weitreichenden Folgen, die weit über die strafrechtliche Verurteilung hinausgehen können, empfiehlt es sich, einen Rechtsanwalt mit der Verteidigung zu beauftragen. Dieser kann Einblick in die Ermittlungs- und BAföG-Akte nehmen und den Ermittlungsstand der Staatsanwaltschaft feststellen.

7. Weitere Informationen

www.bafoeg-datenabgleich.de
www.bafoeg-rechner.de
www.bafoeg-opfer.net